Gerhardsen Gerner

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Seth Pick

 
 
 

Seth Pick
Humiliations

Exhibition duration: October 9 – November 14, 2015


My father suffers from a congenital condition called Dupuytren's contracture. It’s a connective tissue disorder, which results in the palmar fascia becoming thick and hard, leading to contraction of the tendons. His hand was beginning to claw; his little finger now suffers muscle loss where therapeutic collagen injections have given some relief. Despite a temporary improvement, he can no longer play the piano, which I think he feels as a keen private loss. More than that, he’s disgusted his body has anything shared with Margaret Thatcher or Ronald Reagan, who both also suffered from what is known as “Viking’s Hand”.

Where Jesus, painted, raises his index and middle finger, palm out, and clasps his little finger and ring finger down. This gesture is a benediction; it is with this blessing that worshippers will leave the Christian temples, once a week, spoken well of. The gesture passes through liturgy, yes; but also it is written deep in the sentimental structures of believer’s lives. To see the gesture, painted on board a millennia ago, the same warmth bestowed in childhood comes back. Repetition gives even more strength to a simple physical act of goodwill.

My niece swiped my mobile device from my hand, as I was distracted, pouring a brown bottle of ale into a dimpled glass tankard. “Let me show you where me and Mummy live”, she said, and my heart was raised as she dived into my notebook, my telephone, my photograph album. She understood the map and the aerial photographs as second nature, and made a simple gesture, pulling her second finger and her thumb into a pinch against the screen. Instantly the frame of the world shrank towards the little collection of streets that make up the housing estate on which she lives.

Autonomia Operaia [Workers’ Autonomy] was a political force in Italy in the ‘70s characterised by absolute refusal. The response of the state matched that ethos, and the years of combat between workers on one hand, and fascists and State forces on the other, was known as the “Years of Lead”. The “Copernican Turn” that marked their rejection of orthodox Marxist organising was gestural too; rather than using the “clenched fist” salute of the earlier workers’ movements, many adopted, instead, a salute of the index and second finger, high into the air with the thumb extended. The salute was intended to symbolise a Walther P. 38, the handgun of choice for those who rejected any compromise with the State. Cities on the verge of civil war and thousands of young people throwing a hand up in common salute.

In his vegetable patch, my Dad forces his foot onto the shovel and turns the earth. It’s full of worms, but in the far North of England, high above sea level, growing anything can be difficult. He reaches down and pulls a fat, heavy potato from the earth, enough for a full dinner. The wet black soil clings in clumps. Holding the potato in one hand, and using the flat palm of the other, he brushes the worst of the muck off with a couple of swipes. It’s like a simple, undiscovered statuette, a clumped golem. I look at his dark hands; a fish-farmer, a mountaineer, a sailor, holding his potato. I try and guess how many hundreds of thousands of feet of wet rope have slid through his hands, as he passes it to me. My fingers are uncracked; I type at 70 words per minute, leaving grease on the keys.

Huw Lemmey 2015

  

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Seth Pick
Humiliations

Ausstellungsdauer: 9. Oktober – 14. November 2015


Mein Vater leidet unter einer angeborenen Krankheit, der Dupuytren-Kontraktur. Es ist eine Bindegewebserkrankung, die dazu führt, dass die Hohlhandsehne dick und hart wird und am Ende die Sehnen verkürzen. Seine Hand begann sich zu einer Klaue zusammenzuziehen, der kleine Finger leidet an Muskelschwund, doch haben medizinische Kollageninjektionen Linderung verschaffen. Trotz einer zeitweisen Verbesserung kann er nicht mehr Klavier spielen, was er, wie ich denke, als schmerzlichen Verlust empfindet. Schlimmer noch, er findet es abstoßend, dass sein Körper etwas hat, was er mit Margaret Thatcher oder Ronald Reagan teilt, die ebenfalls an jener als „Wikinger Faust“ bekannten Krankheit litten.

Der im Gemälde verewigte Jesus hebt Zeige– und Mittelfinger, die Handinnenfläche nach außen gedrückt, Ringfinger und kleiner Finger zeigen nach unten. Das ist ein Segensgestus. Mit diesem Segen verlassen Gläubige einmal in der Woche die christlichen Häuser, sie können in Frieden gehen. Der Gestus zieht sich durch die Geschichte der Liturgie, das stimmt, aber sie hat sich auch tief in die Gefühlswelten der Gläubigen eingeschrieben. Allein diese, ein Jahrtausend zuvor auf Holz verewigte Geste zu sehen, lässt jene Wärme aufleben, welche wir aus Kindheitserinnerungen kennen. Und Wiederholung gibt dem einfachen körperlichen Akt der Güte sogar noch mehr Aussagekraft.

Meine Nichte schnappte mir mein Telefon aus der Hand, als ich kurz abgelenkt war und mir aus einer braunen Bierflasche in einen geriffelten Humpen einschenkte. „Ich zeig Dir mal, wo ich und Mama wohnen“, sagte sie, und mich überkam ein Hochgefühl, als sie in mein Notizbuch, mein Telefon, mein Fotoalbum eintauchte. Für sie waren der virtuelle Stadtplan sowie die Luftaufnahmen eine Selbstverständlichkeit und sie machte eine einfache Geste – Mittelfinger und Daumen im Kneifgriff gegen den Bildschirm gedrückt. Sofort schrumpfte das Quadrat der Welt auf eine kleine Ansammlung von Straßen in dem Block zusammen, in dem meine Nichte wohnt.

Unter Autonomia Operaia [Arbeiter Autonomie] verstand man im Italien der ‘70er eine, sich durch ihre totale Verweigerung auszeichnende politische Bewegung. Die staatliche Gegenreaktion passte sich deren Ethos an und die Jahre des Kampfes zwischen Arbeitern auf der einen und Faschisten und Staat auf der anderen Seite wurden bekannt als „anni di piombo“ (Jahre des Bleis). Die „Kopernikanische Kehrtwende“, welche die Absage an die orthodoxen marxistischen Organisationsstrukturen bezeichnete, war ebenfalls von gestischer Natur. Anstelle der gereckten, geballten Faust der frühen Arbeiterbewegung, eigneten sich viele nun folgende Gruß an: Zeige– und Mittelfinger mit abgewinkeltem Daumen, hoch in die Luft gestreckt. Diese Grußgeste sollte eine Walther P. 38 darstellen, die präferierte Handfeuerwaffe jener, die jegliche Kompromisse mit dem Staat ablehnten. Städte am Rande des Bürgerkriegs und mit ihnen tausender junger Leute rissen eine Hand in jenem gemeinschaftlichen Gruß in die Höhe.

In seinem Gemüsegarten zwingt mein Vater die Schaufel mit seinem Fuß in die Erde und wendet das Erdreich. Sie ist voller Würmer, doch im hohen Norden Englands weit über dem Meeresspiegel, kann das Anpflanzen von Gemüse per se schwierig sein. Er greift nach unten und zieht eine dicke, schwere Kartoffel aus der Erde, sie allein genug für ein ganzes Abendessen. Die feuchte schwarze Erde klebt in Klumpen daran. Er hält die Kartoffel in der einen Hand und benutzt die flache Handfläche der anderen, um den schlimmsten Dreck mit einigen Bewegungen abzustreifen. Die Kartoffel erinnert an eine einfache, noch unentdeckte Statue, ein verklumpter Golem. Ich schaue auf seine schwarzen Hände; ein Fischzüchter, ein Bergsteiger, ein Seemann, in der Hand seine Kartoffel haltend. Als er sie zu mir herüberreicht, versuche ich mir vorzustellen wie viele hunderttausend Fuß nassen Seils durch diese Hände geglitten sind. Meine Finger sind unverbraucht; ich tippe mit einer Geschwindigkeit von 70 Wörtern pro Minute. Dabei hinterlasse ich eine Fettspur auf den Tasten.

Huw Lemmey 2015
Übersetzung: Maike Fries, Christopher Wöllmer

 

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